Nationale Expertenstandards: Zeitvertreib für Praxisfremde

Eine Kommission hochdekorierter Pflegeexperten findet sich in regelmäßig unregelmäßigen Zeitabständen zusammen um wissenschaftliche Lektüre auszuwerten, die Ergebnisse zusammenzutragen um im Ergebnis einen nationalen Expertenstandard zu gestalten welcher uns, professionell Pflegenden, an die Hand gegeben wird.
Sinn und Zweck dieser nationalen Expertenstandards soll es sein, professionell Pflegende mit einem Werkzeug auszustatten welches in ambulanten Pflegediensten und stationären Einrichtungen implementiert wird, mit dem Ziel Pflege zu professionalisieren sowie die Qualität der Pflege zu steigern.

Mit jedem veröffentlichtem nationalen Expertenstandard erwartet man zeitgleich einen Aufschrei welcher Auskunft über die inhaltliche Leere gibt.

Mittlerweile sind 14 Jahre seit der ersten Veröffentlichung des nationalen Expertenstandard Dekubitusprophylaxe vergangen ohne das es bisher gelungen ist die, schon damals bemängelte halbseidende, Studienlage im Rahmen klinischer Studien auf eine fundierte Basis zu stellen.

Diesbezügliche Erwartungen (so es sie denn gab?) wurden bis heute ignoriert, Studien scheinbar bisher nicht angeregt so dass auch die 2010 veröffentlichte Aktualisierung mehr Fragen aufwarf als diese beantwortete.

Selbst die Einteilung der Dekubitusgrade ignoriert das (nicht selten auftretende) Phänomen der bläulich-violetten Hautverfärbung bei dem sich die Schädigung der Gewebeschichten in Knochennähe an der Hautoberfläche abbildet und ein „Aufbrechen“ in Form eines massiven Dekubitus zu erwarten ist.

Da es sich weder um eine nicht wegdrückbare Rötung noch um eine Hautschädigung handelt, fällt die Klassifizierung bei der Beantragung einer Anti-Dekubitusmatratze höheren Grades bei den Krankenkassen insofern schwer, da der MdK im Falle eines Hausbesuches zur Überprüfung der Notwendigkeit der Versorgung einen Verstoß gegen die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wittern kann.

Noch immer gibt es keine eindeutigen Aussagen zur Wirksamkeit von Weichlagerungs- oder Wechseldrucksystemen so das auch weiterhin auf Angaben der Industrie vertraut werden muss.

Offen bleiben auch klar definierte Aussagen zu Lagerungsintervallen, welche je nach Lagerungssystem zwischen zwei- und vierstündlicher Umlagerung variieren können, und Aussagen zum Pro und Contra der zum Einsatz kommenden Systeme.

Aus Sicht eines in Sachen Dekubitusversorgung durch ambulante Pflegedienste und stationäre Einrichtungen reisenden, ist immer wieder festzustellen, dass in vielen der sich mit der Implementierung der nationalen Expertenstandards rühmenden Häuser, Fellschuhe als Fersen- oder Ellenbogenschutz zum Einsatz kommen, Fersen-Schaumverbände zur „Druckentlastung“ angelegt und Kopfkissen aus denen Schiffchen geschüttelt wurden zur Lagerung genutzt werden.

Ebenso beliebt (da oft gesehen und bemängelt) sind die Anhäufung von Inkontinenzhilfsmitteln und KU´s auf Spannbettlaken über Wechseldrucksystemen oder Fersenfreilagerungen mit Rollen bei denen die Knie durchdrücken, sich Spastiken ausbilden und die Betroffenen Schmerzen erleiden müssen.

Die nationalen Expertenstandards scheinen sich auf die Erhebung und Dokumentation der pflegerischen Herausforderungen zu konzentrieren, lassen jedoch klare Aussagen in Form von Verfahrensanweisungen und Leitlinien vermissen.

So reicht es sich mit den Audit Instrumenten der nationalen Expertenstandards zu beschäftigen, diese zu übernehmen und anzuwenden um die nächste MdK Prüfung ohne größere Blessuren zu überstehen.

Ob die auf dem Papier zum Tragen kommende Qualität sich jedoch auch im Ergebnis wiederspiegelt sei dahin gestellt und ob pflegende Angehörige dieses Werk nutzen können um den von ihnen versorgten Menschen eine bessere, hochwertigere Pflege angedeihen lassen zu können kann man verneinen.

Eine sich an der Ergebnisqualität orientierende Ausarbeitung der Standards würde einen anderen Blickwinkel erfordern, welche sich mit der Frage konfrontiert sähe mit welchen Mitteln und Konzepten die Entstehung eines Dekubitus verhindert werden könnte, was klar definierte Vorgehensweisen mit sich bringen würde.
Die Identifikation der Schwachstellen würde einen klar definierten Maßnahmenplan abbilden lassen aus dem sich Verfahrensanweisungen ableiten lassen könnten welche, bevor diese veröffentlicht werden würden, in Einrichtungen Anwendung finden könnten.

Die DNQP hätte somit die Chance ihre Expertenstandards, bevor diese veröffentlicht werden, praxistauglich zu gestalten um somit auch die Studienlage zu verbessern.

Die Implementierung der Expertenstandards lässt sich (vielerorts) nicht in Form innerbetrieblicher Meetings oder Qualitätszirkel festzurren sondern kann nur in einem multiprofessionellem Team erarbeitet werden zu dem neben den professionell Pflegenden auch Vertreter aller an der Versorgung der Betroffenen beteiligten (auch externen) Institutionen und Fachbereiche zählen.
Nur so kann gewährleistet werden das alle an der Versorgung beteiligten sich der Verantwortung ihres Handelns bewusst sind, sich der Wissens- und Informationsstand auf einem gleichermaßen hohem Niveau befindet und für alle das zu erreichende Ergebnis im Focus des gemeinsamen Handelns steht.

Auf den anstehenden nationalen Expertenstandard zum Erhalt und Förderung von Mobilität kann man hinsichtlich der existierenden (oder auch nicht existierenden) Studienlage gespannt sein.

Es würde überraschen wenn dieser nicht auch (wie alle anderen Expertenstandards) mit S1: …verfügt über das aktuelle Wissen … beginnen würde.

Ein schrecklicher Gedanke das diese nichtssagenden, für einen immensen bürokratischen Aufwand sorgenden Expertenstandards als Grundlage für die Rechtssprechung herangezogen werden.

Author: admin

Hallo, ich bin Uwe und als Admin der pflegefabrik.de verfüge ich über 30 Jahre Berufserfahrung als examinierter Krankenpfleger in den verschiedensten Bereichen unseres Gesundheitssystems. Während dieser Zeit sammelte ich langjährige Erfahrungen im intensivmedizinischen Bereich einer Akutklinik, im Pflegedienst und stationären Altenpflegebereich, qualifizierte Menschen als Dozent in der Basisqualifikation und bin als Wundexperte ICW, Ernährungs- und Dekubitusmanager im Aussendienst eines Home Care Dienstleisters tätig. Feedbacks sind erwünscht

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